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Der Titel der Ausstellungspräsentation im Kunstmuseum in Mülheim an der Ruhr enthält die beiden englischen Worte ‚Talking about‘. Diese Formulierung, die sich in unserer ‚Kommunikationsgesellschaft‘ allenthalben einstellt, hat den Künstler während seiner Arbeit an dieser Serie ständig begleitet. So als ob in den Erinnerungsfetzen und Asso­ziationsketten, die in den Schichtungen seiner Bilder zwangsläufig enthalten sind, sich auch jene Gesprächs- und Gedankenfetzen widerspiegeln würden, die in unserer heutigen – allzu mediendominierten – Welt mit Wahrnehmung einher gehen. Sehen und Reden, Wahrnehmen und Reflektieren, sich durch blitzartige Bilder anstoßen lassen, über Inhalte zu diskutieren, dies sind die Axiome unserer heutigen Perzeption.

Der Künstler reflektiert dies seit langem und verfolgt in seiner Arbeit konsequent den Weg, aus dem Teppich von Wahrnehmungsstruktur heraus neue Bilder zu formen, die die Inhalte verdichten und ein komplexeres und präziseres Umgehen mit den Ereignissen erlauben, die hinter den realen wie den imaginierten Bildfragmenten verborgen liegen. Reiner Nachtwey selbst sagt zu seinem Umgang mit Bildern: ,,Recycling ist das Prinzip der Gestaltung. Der Umgang mit Rohstoffen sagt etwas über unsere Kultur. Fotografische Bilder sind Rohstoffe, die es zu befragen gilt.“

Das fotografische Werk von Reiner Nachtwey definiert sich im Zwischenbereich zwischen Fotografie und bildkünstlerischer Formgestaltung. Nachtwey arbeitet mit Fotos als Gestal-tungsmittel und nimmt diese zum Anlass, aus Reproduktion, Repro-Reproduktion und erneuten Überarbeitungen eine Auflösung der ursprünglichen Bildvorlage zu erreichen mit dem künstlerischen Ziel, eine neue, form- und sinnstiftende Struktur zu entwickeln. Der Künstler geht dabei in unterschiedlichen Schritten vor, denen er zu Beginn die Suche nach Bildmotiven, Fotovorlagen und Bildzitaten voran stellt. Die Quellen, aus denen er seine Bilder neu generiert, werden zum einen aus dem Fundus eigener, im laufe der Jahre erstellten Fotografien gespeist und zum anderen werden sie ergänzt durch Abbilder unserer öffentlichen Medien wie Zeitungen, TV und Film. Mit diesem Bildmaterial nun 

verfährt Nachtwey wie der Maler mit Pinsel und Farbe. Die Vorlagen werden überarbeitet, geschichtet und wiederholt vom Dia ins Dia übertragen, bis sie mit der ursprünglichen Bildquelle nur noch sehr mittelbar identisch sind. Die Zusammenfügungen, die Nachtwey dann daraus ermittelt, sind aber wiederum mit Bildzitaten verknüpft, die er als wahr­nehmender und reflektierender Zeitgenosse aus dem Speicher seiner gewachsenen Erinnerung hervorholt und die sich auf historische, kunstgeschichtliche oder tagesaktuelle Themen und Visionen beziehen. Dabei gilt, dass Reiner Nachtwey an einer Form von Nachrichten- oder Dokumentationsfotografie nicht interessiert ist, es sei denn, sie dient ihm als Vorlage seiner „recycelten“ Bildweiten, die sich zu neuen Kommentaren über Wirklichkeit zusammen setzen lassen. Diese Form von zitathafter und assoziativer Verschränkung von Bildinhalten stellt sich als Gewebe eines fortlaufenden Bandes dar und lässt in der Abfolge von mehreren Bildern eine Gestaltung erkennen, die an einen Filmstreifen denken lässt ohne sich in narrativen Bezügen zu erschöpfen. 

In diesem Sinne verarbeitet Reiner Nachtwey die vielen Rohstoffe des Sehens zu einer Essenz, deren Gehalt im Vergleich zu den zum Teil oberflächlichen Schlaglichtern des Alltags verdichtet und komprimiert erscheint. Jenes Konzentrat an Bildlichkeit führt uns in immer neuen ‚Sinnbildern‘ ein MEMENTO MORI heutiger Bilderflut vor Augen, das sich in diesem Kontext durchaus wieder an klassische und fast archetypische Vorbilder annähert. Die moderne Technik der Reproduktion mit Überlagerung führt dabei nämlich ganz im Gegenteil nicht zu einer Verfremdung der Bildmotive, sondern im bildkünstle­rischen Sinne zu einer Klärung, die sich in Hinsicht auf den Bildkörper vom momentan Alltäglichen zum existenziell Dauerhaften wandelt. 

Verfolgt man die unzähligen Schritte der Bildverfremdung und Bildadaption, erscheint es zunächst erstaunlich, dass die Lichtfülle in den Arbeiten erhalten, wenn nicht sogar gesteigert wird. Die Serien von Bildfeldern, die Nachtwey zum Teil wie in einem Zelluloid­streifen aneinander reiht, ergeben eine sich beschleunigende Abfolge von Licht-und Bildblitzen, die uns die Schnelllebigkeit und die Aktualität von Eindrücken und Wahr­nehmungen vor Augen führt. Dabei entwickelt sich eine Reihung von Momenten und Wahrnehmungsaspekten, die nahezu assoziativ zu eigenen Bildern zurück führen, die wir im laufe der Jahre in uns abgespeichert haben und die wie aus der Vergessenheit jetzt neu auftauchen. 

Im Kontext seiner neuesten Arbeiten entwickelt der Künstler eine immer dichtere Ver­schränkung von Bildidee und Bildprozess. Er überarbeitet das Bildmaterial in fast seriellen Schritten bis hin zur Auflösung der originären Bildinformation. Mit dieser Form der Verwer­tung und Reflexion entstehen Bildwerke, die sich völlig von den Bedingungen der fotografischen Vorlagen frei gemacht haben. Die Realität, die sich in den Bildfeldern einstellt, ist allein eine Realität der Wahrnehmung und damit der künstlerischen Setzung. Die 

Quelle der Fotografie wird zum anonymen Bildträger, der seine Ursprünge so gewandelt hat, dass wir die Objekte und Figuren in einem vollständig neuen Sinnkontext erkennen. In der Ambivalenz von Formen und Elementen wird ein Fuß zur Hand, wird eine liegende zur Fliegenden und werden banale Alltagsbilder zu transzendenten Engeln. 

Gabriele Uelsberg
Katalogtext zur Ausstellung
„talking about“
Kunstmuseum in der alten Post
Mülheim a.d.
2001 Ruhr

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Die dreiteiligen Arbeiten sind alle ohne Titel.
Aachen 1999, Format je 50 x 75 cm, Farbfotografien

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Ohne Titel, Aachen 2001, 9-teilig Format je Bild 50 x 75 cm, Farbfotografie