.

.

.

Reiner Nachtwey // Andreas Rosenthal

Der Zeichner Andreas Rosenthal und der mit Fotografie gestaltende Reiner Nachtwey haben sich in einer gemeinsamen Präsentation zusammen gefunden. Zu sehen sind zwei künstlerische Positionen, die mit unterschiedlichen technischen Gattungen befasst sind. Dennoch lassen sich in den Werkreihen dieser beiden Künstler Aspekte festmachen, die gleichzeitig auf einer übergeordneten Ebene sehr viele Entsprechungen und Berührungen miteinander teilen. 

Kaum ein Satz charakterisiert Andreas Rosenthal besser als sein Bekenntnis zur Existenz als Zeichner. Und kaum ein Satz überrascht im Kontext der Arbeiten von Reiner Nachtwey mehr, als dass er sich nicht als Fotograf bezeichnet. Die handwerkliche Verwurzelung im Bereich von Materialschnitt bei Andreas Rosenthal und Fotografie bei Reiner Nachtwey ist in der Tat nur Handwerksmittel und nicht künstlerische Zielsetzung. So wie Andreas Rosenthal mittels unterschiedlicher Techniken wie Holzschnitt, Linolschnitt oder Schabtechnik immer wieder zum Ergebnis raumstiftender und raumbildender Zeichnungen gelangt, so differenziert Reiner Nachtwey aus einem nahezu unerschöpflichen Kompendium von Bildvorlagen einen neuen bildnerischen Kosmos, den er in jeder Arbeit neu entwickelt und dessen einzelne Faktoren — wie die Vorlagen aus eigenem Fotomaterial, aus Zeitschriften oder Videomitschnitten — ihre eigene Bedeutungskraft im Kontext der sinn- und bildstiftenden neuen Konfigurationen verlieren.

Bei beiden Künstlern entsteht so ein Teppich von Wahrnehmungsstrukturen, die die in den Arbeiten stets vorhandenen Inhalte und thematischen Auseinandersetzungen verdichten und komprimieren. Auch die künstlerische Entwicklung beider Protagonisten ist in ihrer Konsequenz und Präzision vergleichbar.

Andreas Rosenthal entwickelt über Themen und Werkreihen seine künstlerische Konzeption immer stärker in Richtung auf Dialog, Raumbezug und Transparenz. Er kommt vom Einzel- zum Doppelblatt, indem er unterschiedliche unabhängig voneinander entstandene Arbeiten im Nachhinein miteinander kombiniert und so die Komplexität der bildkünstlerischen Setzungen nicht nur verdoppelt, sondern im Kontext der Überschneidungsmöglichkeiten um ein Vielfaches steigert. Einher geht die Dopplung der Arbeiten im Ausstellungskontext mit der Findung der Transparenz. Da seine großformatigen Schabzeichnungen auf transparent gewachstem Papier von hinten und vorne bearbeitet werden und sich nun in einer unterschiedlichen Schichtung darstellen, entwickelt sich ein innerbildlicher Raum, der nicht gezeichnet und nicht gemalt ist, sondern sich allein durch die unterschiedliche Präsenz der Zeichnungen auf und hinter dem Blatt bei der Betrachtung einstellt. Das Licht als manifestierendes Element der Zeichnung ist in diesen Arbeiten besonders präsent und lässt eindeutig einen Bezug zu den Arbeiten Reiner Nachtwey’s erkennen.

Reiner Nachtwey hat in seiner besonderen Technik des ”Recycelns“ die Schichtung seiner Bilder im Fortlauf der Arbeit ständig verdichtet und gleichzeitig transparent gemacht. Nachtwey arbeitet mit Fotos als Gestaltungsmittel und nimmt diese zum Anlass, aus Reproduktion, Reproreproduktion und erneuten Überarbeitungen eine Auflösung der ursprünglichen Bildvorlage zu erreichen mit dem künstlerischen Ziel, eine neue form- und sinnstiftende Struktur zu entwickeln. Die Vorlagen werden überarbeitet, geschichtet und wiederholt vom Dia ins Dia übertragen, bis sie mit der ursprünglichen Bildquelle nur noch sehr mittelbar identisch sind. Die Zusammenfügungen, die Nachtwey dann daraus entwickelt sind aber wiederum mit Bildzitaten verknüpft, die er als wahrnehmender und reflektierender Zeitgenosse aus dem Speicher seiner gewachsenen Erinnerungen hervorholt und die sich auf historische, kunstgeschichtliche oder tagesaktuelle Themen und Visionen beziehen. 

In seinen neuesten Arbeiten entwickelt der Künstler eine immer dichtere Verschränkung von Bildidee und Bildprozess. Er überarbeitet das Bildmaterial in fast seriellen Schritten bis hin zur Auflösung der originären Bildinformation. Die Realität, die sich in den Bildfeldern einstellt, ist allein eine Realität der Wahrnehmung und damit der künstlerischen Setzung. Die Verdichtung, die sich rein technisch im Prozess der Arbeit entwickelt führt aber nicht zu einer Kompaktheit und Undurchdringlichkeit der Oberflächen, sondern erweist in der Rezeption der Arbeiten, dass die Lichtfülle der Kunstwerke erhalten, wenn nicht sogar gesteigert ist. Es ergibt sich eine sich beschleunigende Abfolge von Licht- und Bildblitzen, die den Werken eine ungeheuere Helligkeit und damit Präsenz im Raum verleihen.

Die licht- und raumbildenden Elemente im Werk von Andreas Rosenthal und Reiner Nachtwey werden noch durch eine aktuelle Werkreihe beider bestätigt und in Bewegung gesetzt, die sich in den Horizonten von Andreas Rosenthal und den Bildserien von Reiner Nachtwey dokumentieren. In langen Bahnen werden zum einen Holzreliefs, zum anderen fotografische Bildsetzungen in Reihen aneinander gesetzt, die nicht beliebig sind sondern sich aus sich selbst entwickelnd wie einen vorbeifliegenden Film den Raum auch als Erlebnis der Bewegung thematisieren. Der Rosenthal’sche Horizont als Vorstellung von Landschaft, Panorama und Umwelt ist ein unendliches Kontinuum von Linien und Formen, das sich nur partiell an der Wand in einem Ausschnitt festhalten lässt. Die Serien von Bildfeldern, die Nachtwey zum Teil wie in einem Zelluloidstreifen aneinander reiht, ergeben eine sich beschleunigende Abfolge von Licht— und Bildblitzen, die uns die Schnelllebigkeit und die Aktualität von Eindrücken und Wahrnehmungen vor Augen führt. Dabei entwickelt sich eine Reihung von Momenten und Wahrnehmungsaspekten, die nahezu assoziativ zu eigenen Bildern zurückführen, die wir im Laufe der Jahre in uns abgespeichert haben und die wie aus der Vergessenheit jetzt neu auftauchen. In der Betrachtung dieser Bildfolgen entwickelt sich eine lichte Bewegung im’ Raum, die die Betrachtung stets als eine unabgeschlossene definiert.

Hat der kürzlich verstorbene große Kunsttheoretiker Sir’ Gombrich zwar formuliert „Es gibt keine Kunst, es gibt nur Künstler“ so lässt sich im Vergleich der Arbeiten von Andreas Rosenthal und Reiner Nachtwey formulieren: „Sie gehören keiner gleichen künstlerischen Richtung an, aber in der Sprache der Kunst haben sie sich Viel zu sagen.“

Gabriele Uelsberg Mülheim an der Ruhr, 2001

Ohne Titel, Aachen 1999, Format je 50 x 75 cm, Farbfotografie 

Ohne Titel, Aachen 1999, Format 110 x 180 cm, Farbfotografie

.

Ohne Titel, Aachen 1998, Format 110 x 180 cm, Farbfotografie