Neue Wahrnehmung geht aus problematisierten alten Wahrnehmungsweisen hervor.

Die Photographie als künstlerisches Medium wieder sprechen zu lassen, ist eine Richtung, die in den letzten Jahren zunehmend an Aktualität gewonnen hat. Die Flut der photographischen Bildinformationen — man denke nur an den Bereich der Werbephotographie — mag ein Grund dafür gewesen sein, daß zahlreiche Photographen wie auch Reiner Nachtwey ihr Augenmerk verstärkt auf künstlerische Konzeptionen in diesem Medium richteten.

Zu verbraucht erscheinen ihm Bildvorstellungen, in denen das automatische Wiedererkennen von Gesehenem konstitutionell „eingebaut“ ist. Reiner Nachtwey will dagegen den Apparat konzeptionell und intellektuell begreifen, „um ihn dann mit etwas anarchischer Lust zum Informellen zum Tanzen zu bringen“. (Zit. nach einem Brief des Photographen.) Schon aus diesen Worten läßt sich erfahren, daß sich seine Photographien als ein Widerstand gegen Sehgewohnheiten, inhaltliche Klischees und motivische Bedeutsamkeiten verstehen lassen. Verbannt ist das Vorher-Gesehene — gefordert ist die „Erfundene Wirklichkeit“, die aus der Problematisierung alter Wahrnehmungsweisen zu neuen Wahrnehmungen führt.

Die Ausstellung zeigt relativ große Arbeiten des Photographen, die seit 1985 entstanden sind. Nichts ist auf Anhieb „indentifizierbar“, vielmehr lassen sich Strukturen ausmachen, die eine Affinität zu Werken informeller Maler, vor allem der 50er Jahre, erkennen lassen. Strukturen von Farben, Formen und Licht tun sich auf, die in ihrem Zusammenwirken Gefühle von Räumlichkeit beim Betrachter evozieren, ohne daß diese sich exakt wie bei einem Gemälde der Florentiner Frührenaissance bestimmen ließe.

Ein‘ Schwebezustand herrscht in Reiner Nachtweys Photographien vor, der sich auf den Betrachter zu „übertragen“ scheint, in dem er vor den Werke zu assoziieren beginnt. Hier und da verstärkt sich die intendierte Vieldeutigkeit, indem sich bei manchen Photographien Schatten von Kreaturen oder Menschen ausmachen lassen, deren Setzung innerhalb des Bildgefüges verschlüsselt bleibt. Jene Schatten fungieren wie Haltepunkte, die der Festigung der Komposition dienen. Diese Elemente der Ähnlichkeit erzeugen in der Verbindung mit der übergreifenden Bildstruktur einen poetischen Zusammenhang, der die den Abbildungen gegenübergestellten Textzeilen des Photographen zu entsprechen scheint.

In Otto Steinerts (im Vorwort schon zitierten) Publikation heißt es in einem Aufsatz über die Gestaltungsmöglichkeiten der Photographie: „Wir vertreten jedoch die Ansicht, daß es nicht das Motiv ist, das die Bildwirkung auslöst, sondern das Gestaltungsvermögen des Photographen, der das Sujet zum Bild formt . . .. Der bedeutungsvolle Schritt von der darstellenden Abbildung zur darstellenden photographischen Gestaltung erfolgt, wenn der Gegenstand, das Motiv, nicht mehr um seiner selbst willen aufgenommen, es vielmehr von seiner Eigenbedeutung zum Objekt der Gestaltungsabsicht herabgesetzt wird“.

Diese Sätze liegen sehr nahe bei den Gestaltungsabsichten von Reiner Nachtwey, dessen höchst subjektive Photographien eine Autonomie erreichen, die bisweilen den Unterschied zwischen einem Gemälde und einer Farbphotographie vergessen macht.

In ihrer Bildhaftigkeit sind die Arbeiten dennoch immer als Photographien erfahrbar, schon deshalb, weil ihre Farb- und Lichtnuancen von einer Malerei wie auch immer nicht geleistet werden könnten.

Erfinden und Finden liegen in Reiner Nachtweys Photographien dicht beieinander, denn der konzeptionelle und der informelle Aspekt charakterisieren seine Werke. Scheinbare Gegensätze von Intellekt und Emotion, von Kalkül und Spontaneität, von Konstruktion und Informell, lassen sich nicht mehr aufrecht erhalten: den Beweis hierfür liefern in eindringlicher Weise die ausgestellten Werke des Photographen.

Herbert Schneidler

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Alle Abbildungen rechts sind ohne Titel bzw. haben Identifizierungsnummern.
analoge Farbfotografien, C-Prints
Formate in der Reihenfolge:
Nr. 44/92  // 100 x 150 cm // Aachen 1989
Nr. 51/41 // 75 x 100 cm // Aachen 1990
Nr. 33/38 // 100 x 150 // Aachen 1988
Nr- 53/57 // 100 x 150 // Aachen 1991
Nr. 56/75 // 150 x 100 // Aachen 1990
Nr 47/17 // 150 x 100 // Aachen 1990

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Als er die Augen aufschlug und in die Sonne blickte, staunte er: sie war schwarz.

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Er schloß die Lider und sah in ihrem roten Schein gerade noch den Absprung aus den Wolken.

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Wie hinter frühem Eis; kopfüber in leichtem Bogen nach unten.

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Kurz vor dem Erscheinen des Nachbildes zerplatzte der Körper in sprühendem Blau.

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Seine Partikel legten sich auf seine Augen und reihten sich dort zu den gepunkteten Zeilen einer Mattscheibe.

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Gebannt von diesem Geschehen schaute er intensiver in seine Lider, als wolle er jeden Punkt einzeln erfassen.

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