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…. „Reiner Nachtwey (Aachen) führt uns das Vorläufige und Unabgeschlossene in für ihn typischen Bildserien vor. Hier finden wir Motive, die offensichtlich fotografischer Abkunft sind. Motive, wie wir sie aus den verschiedensten Informationsmedien kennen, und die unterschiedliche Inhalte aus verschiedenen Zeiten transportieren: ein Doppeldeckerflugzeug, eine Tänzerin, ein Ruderer oder das allseits bekannte „laufende Männchen“, das uns als Fluchtweg-Piktogramm international in öffentlichen Gebäuden begegnet.
Dass wir es mit Bildsequenzen zu tun haben, die uns suggerieren, eine Bildgeschichte zu erzählen, legt nicht nur die äußerliche Organisation gleichformatiger, aneinander gereihter Bilder nahe. Auch innerbildlich gibt es zwischen den Bildmotiven direkte formale Bezüge. Motive tauchen mehrfach wieder auf, andere ziehen sich über mehrere Bilder hin, (z.B. Mopedfahrer oder fliegende Möwen). Diese formale Organisation der Motive findet aber – für den Betrachter irritierend – keine deutliche Entsprechung auf inhaltlicher Ebene.
Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Motive sehr unterschiedliche Inhalte vortragen, also nicht auf einer erzählerischen Ebene agieren. Außerdem hat Nachtwey die Motive durch wiederholte fotografische Reproduktion verunklärt. Sie haben dabei ihr Schärfe verloren, werden überblendet, verschwimmen in einer braun- oder graublau-tonigen Atmosphäre und erfahren auf diese Weise eine Verfremdung.
Ihres ursprünglichen, (oft durch Bildlegenden festgelegten) inhaltlichen Kontextes beraubt, können die Motive – dazu will uns die Montage verführen – mit neuen Bedeutungen besetzt werden. Z.B. mit unseren persönlichen Assoziationen/Erfahrungen, die wir mit derartigen Motiven verbinden. Wenn wir also die klassische Rezeption der Fotografie und das Prinzip der linearen handlungsbezogenen Bildgeschichte negieren, dann können wir durchaus neue inhaltliche Zusammenhänge entdecken oder für uns hineinlesen.
Einer dieser inhaltlichen Zusammenhänge hat mit Bewegung zu tun: in den Motiven geht es um Tanzen, Laufen, Fahren, Schwimmen, Fliegen. Festgehalten sind diese Bewegungsformen in der Fotografie, es sind also „eingefrorene“ Bewegungen, die im Moment der Aufnahme bereits ein vergangenes Zeitmoment dokumentieren, einen Ausschnitt aus einem Bewegungsablauf. Wir können also Nachtweys Bildfolge lesen als eine Geschichte des menschlichen „Unterwegs Seins“ (Getriebenseins/des Suchens), oder allgemeiner gesprochen: als Erfahrung des Vorläufigen und Unabgeschlossenen im Fluss der Zeit.“….
Text: Reinhold Happel