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Vom Fliegen. 

Da ist der Traum. Fliegen ist ganz einfach. Ich breite die Arme aus – ohne „Badman-Umhang“ – strecke die Beine nach hinten und fliege. Je nachdem, wie ich die Arme ausstrecke oder anwinkle, steige ich hoch oder es geht sanft nach unten. Einmal oben, erscheint die Welt leicht, als Aufsichtsbild oder auch als Film, je nachdem, wie ich es haben will. Keine Angst: abstürzen kann ich nicht. 

Da ist die Realität. Spacelab – oder wie dieses Ding geheißen haben mag – zerplatzt in der Luft. Übrig bleiben: trauernde Familien; eine trauernde Nation und viele schöne, bunte Bilder. Es war nicht die Realität, die mich traf, sondern die Bilder von ihr. In Raster- und Zeilenpunkte aufgelöst, zudem in wunderschö­nen Farben, trafen sie auf meine Augen, gingen in meinen Kopf und verschwanden im Dunkel. Dort, so vermute ich, vermischen sie sich mit den zuerst genannten Bildern, verheddern sich, bilden neue Bilder, tauchen manchmal wieder auf, machen Angst, erzeugen Zy­nismus und last but not least nötigen sie mich, ihnen nachzufor­schen und sie wieder zu entflechten. 

Ich entdecke einige von ihnen wieder im Schwarz meiner früheren Fotografien. Schwarze Löcher werden mir wichtig in Bildern. Und, seltsamerweise verbinde ich sie mit Jugend, Jugendlichen, mit meiner eigenen Jugend. Fliegen als jugendlicher Traum von der Eroberung der Welt, als männlicher Traum von der Herrschaft über sie. 

Traum und alptraumhafte Realität sind montiert. „Das Ganze“ ist eine Fiktion. Trotzdem erscheinen mir die Bilder in meinem Kopf als nicht montierte Teile einer zersplitterten Erfahrung. Diesen Bildern vom Fliegen will ich nachgehen. 

In den großformatigen Fotografien spiele ich mit dem scheinbar dokumentarischen Charakter der Fotografie. Bilder entstehen und sollen entstehen, die zunächst – abgesehen von ihrer Größe – wie „gewöhnliche“ Fotografien aussehen. Wie Fotografien, die suggerie­ren, als sei da ein Fotograf mit seiner Kamera in einer Situa­tion, Szene gewesen, die er dann fotografierte. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, daß das zeiträumliche Kontinuum, das sich für gewöhnlich in einer Fotografie zeigt, nicht bestanden haben kann. Zu unterschiedlich sind die einzelnen Bildteile. Und dennoch erscheinen sie als ein „ganzes“ Bild. In extremer Dehnung erscheinen sie in der Horizontalen und Vertikalen. In der Hori­zontalen ist die Erfahrung der Welt aufgehoben, in der Vertikalen der Traum und Alptraum vom Fliegen. 

Die Farbfotografien unterscheiden sich insofern von den s/w-Foto­grafien, als sie sich sofort als konstruierte, als montierte Bilder zu erkennen geben. In diesen Arbeiten greife ich in unter­schiedlicher Weise auf vorgefertigte Bilder zurück, z.B. auf Zei­tungsfotografien, die ich bemale, kopiere und mit anderen Foto­grafien überdecke, zerkratze usw. Die Phantasiebilder vom Flie­gen als Ableger unseres zeitgenössischen Bilderberges, als Über­lagerungen von Medienbildern und Selbstgeschautem, sind für den Betrachter meiner Farbfotografien wichtig. Obwohl auch die Farb­fotografien „Katastrophisches“ zeigen, haben sie für mich, was ihre Entstehung anbelangt, etwas Spielerisches an sich. 

Reiner Nachtwey, Januar 1988 

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Farbfotografie, O.T. Nr.18/74; Format: 75×50; Aachen 1988

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Farbfotografie, O.T. Nr. 32/33; Format: 75×50; Aachen 1988

Farbfotografie 4 teilig, O.T. Nr. 16/68; Format: 150 x 100; Aachen 1987

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.Farbfotografie, O.T. Format: 150 x 75; Aachen 1988

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Farbfotografie, O.T. Nr. 34/40; Format: 75×50; Aachen 1988

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Farbfotografie, O.T. Nr. 21/82; Format: 75×50; Aachen 1988

Sch./W. Fotografie; O.T.; Format: 260 x 100; Aachen 

Sch./W. Fotografie; O.T.; Format: 280 x 100; Aachen 1987

Sch./W. Fotografie; O.T.; Format: 260 x 100; Aachen 1987

Sch./W. Fotografie; O.T.; Format: 300 x 100; Aachen 1987

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Sch./W. Fotografie; O.T.; Format: 100 x 350; Aachen 1987

Sch./W. Fotografie; O.T.; Format: 100 x 350; Aachen 1987